Wenn man ein Regelsystem auf ein Setting anpasst, ist die Magie immer der Knackpunkt. Fast immer sind Kämpfer Kämpfer und Diebe Diebe, aber Magie ist in jedem Setting etwas Eigenes und Besonderes.
Das gilt auch für Myranor. Insofern war es uns von Anfang an wichtig, diese Besonderheit der myranischen Magie zu erhalten. Ebenso wollten wir aber größtmögliche Kompatibilität mit anderen 5e-Regeln erhalten, um Myranor-Spielenden ein breites Spektrum an Erweiterungen zur Auswahl zu bieten.
Die Magie von Myranor lässt sich in drei große Traditionen einteilen (es gibt noch weitere, die aber weit untergeordnetere Stellungen einnehmen): Optimatiker, Animisten und Magotechniker.
Alle drei sehen die Magie im Kern als eine Beschwörung von Essenzen und Wesen aus anderen Sphären, den sogenannten Quellen. Diese Quellen umfassen die Elemente (Eis, Erz, Feuer, Humus, Luft, Wasser, Kraft), die stellaren Quellen (Aggression, Begierde, Endgültigkeit, Freiheit, Harmonie, Kreativität, Wahnsinn und Zauberei), die Quellen der Totenwesen, der Tiergeister und der Zeit und die verschiedenen dämonischen Quellen, die großteils Pervertierungen der genannten darstellen.
Im alten Myranor wurden diese Quellen mit Instruktionen wie „Schade“, „Heile“, „Verändere“ kombiniert, um Zauber zu erschaffen, die entweder fix als Formeln kodifiziert oder als Spontanzauber kurzfristig erstellt wurden (in letzterem brillierten vor allem die Optimatiker). Zusätzlich konnten Animisten Geister der Quellen in sich aufnehmen, um übernatürliche Fähigkeiten als Geistergeschenke zu erhalten. Dieses System war sehr frei, aber gleichzeitig sehr aufwändig, vor allem wenn man Zauber im Spiel improvisieren wollte. Und es erforderte auch viele besondere Fähigkeiten für Charaktere, diese Kunst zu meistern, wodurch diese an sich tolle Idee nur in wenigen Fällen tatsächlich voll genutzt werden konnte.
Magotechniker erschufen magische Gegenstände, die sie mit Astrilithen genannten magischen Kristallen betrieben. Auf die Magotechniker werden wir in einem späteren Bericht eingehen, hier soll es um die Zauberei der Animisten und Optimatiker gehen.
Bei 5e basiert die Magie grundlegend auf fixen Zaubersprüchen, allerdings einer großen Auswahl davon. Wir wollten das 5e-Zaubersystem grundlegend beibehalten, um im Spiel flotter zu sein und um Kompatibilität zu wahren.
Wie also setzen wir die myranische Magie um?
Unser erster Ansatz war es, die 5e-Zauber passenden Quellen zuzuordnen. Der Beschleunigungszauber Hast kam also zu Luft und Zeit, Feuerball natürlich in Feuer. Alle Zauberwirkenden erlernten eine gewisse Anzahl an Quellen, aus denen sie ihre Zauber wählen konnten.
Optimatiker konnten Zauber erlernen, aber auch mit einer Probe mit steigendem Risiko Zauber aus ihren Quellen wirken, die sie nicht gelernt hatten. Auf höheren Stufen konnten sie im Rahmen dieser Proben die Zauber auch modifizieren, indem sie zum Beispiel die Reichweite oder Wirkungsdauer veränderten.
Die Geister der Animisten wurden (unter anderem) durch Pakete aus jeweils einem Zaubertrick und zwei Zaubern einer Quelle dargestellt, welche die Animisten verwenden konnten, wenn sie von einem Geist besessen waren. Die Animisten wechselten also ihre zur Verfügung stehenden Zauber durch unterschiedliche Besessenheiten.
Diese Ansätze waren auch Teil des ersten Previews.
Proberunden zeigten allerdings einige Schwächen dieses Ansatzes.
- Einige Quellen hatten deutlich zu wenig Zauber
- Für einige Kombinationen von Quelle und Zaubergrad (Macht) gabe es keine sinnvollen Varianten für Animisten
- Die Spontanzauberei der Optimatiker wurde zwar am Papier als cool angesehen, aber in der Praxis nur selten genutzt
Also sind wir nach dem Preview noch einmal zurück in die Diskussion über die myranische Magie gegangen. Und wir haben eine Lösung gefunden, die tatsächlich sogar näher am alten Baukasten liegt.
Der erste Schritt war es nicht mehr zu fragen, in welche Quellen ein Zauber am Besten passte, sondern wie wir Zauber so modifizieren konnten, dass sie mit mehr Quellen sinnvoll nutzbar sind. Dazu mussten wir gedanklich den Effekt von der Beschreibung des Zaubers entkoppeln.
Der Zauber Nebelwolke beschwört, wie der Name schon verrät, Nebel. Instinktiv passt er damit in die Quellen Wasser und Luft. Aber sein Effekt ist letztendlich der, ein Gebiet zu verschleiern und für Blicke undurchdringlich zu machen. Denselben Effekt kann man auch durch einen Schneesturm (Eis), einen Blätterwirbel (Humus), einen Staubsturm (Erz) und sogar einen dichten Funkenflug (Feuer) bewirken. Also wurde aus dem Zauber „Nebelwolke“ der Zauber „Verschleiern“, der jetzt mit allen sechs genannten Quellen gewirkt werden kann, ebenso mit vielen dämonischen.
Der nächste Schritt war, dass sich manche Zauber nur durch die Art ihres Schadens unterscheiden. Also haben wir jeder Quelle eine Schadensart zugeordnet (natürlich Feuer bei Feuer, Kälte für Eis, dazu zum Beispiel Hiebschaden für Erz, Stichschaden durch Humus (Dornen), Wuchtschaden durch Wasser und Luft, Energieschaden durch Kraft, psychischen Schaden durch stellare Quellen, nekrotischen Schaden durch Totenwesen und Zeit und so weiter).
Dadurch wurde aus dem Zaubertrick „Feuerpfeil“ der Zaubertrick „Geschoss“, der mit beinahe allen Quellen gewirkt werden kann und dann den jeweiligen Schadenstyp verwendet.
Später haben wir noch jede Quelle um eine zweite Schadensart ergänzt, die durch gewisse Talente und Effekte „freigeschaltet“ werden kann (zum Beispiel Schall bei Luft, Gift bei Humus).
Einige Zauber verwenden Rettungswürfe. Wenn man Zauber auf ihre Wirkung reduziert, machen sie auf einmal in deutlich mehr Quellen Sinn, was es manchmal aber plausibel macht, den Rettungswurf zu ändern. Jede Quelle erhielt also jeweils einen eigenen passenden Rettungswurftyp um sich gegen behindernde Effekte zu wehren und um Schaden zu widerstehen.
Der Zauber “Person festhalten” wirkt auf den Geist einer Person und lähmt sie, bis sie den Effekt mit einem Weisheits-Rettungswurf beenden kann. Das lässt sich gut für stellare Quellen (Entzug von Aggression, Depression durch Endgültigkeit, Ablenkende Gedanken durch Begierde, Wahnsinn… durch Wahnsinn, etc) argumentieren, ebenso für vergleichbare dämonische Quellen wie Xolovar, die Domäne der Gier (Fokussierung auf illusionäre Reichtümer). Aber mit einer Anpassung des Rettungsswurfes wird es auf einmal auch mit Eis, Erz, Humus, Luft, Wasser und Totenwesen sinnvoll, wenn eine Person in elementare Manifestationen eingeschlossen oder von beschworenen Geistern festgehalten wird und sich mit einem Stärke-Rettungswurf befreien muss und sogar mit Feuer, wo sie mit einem Geschicklichkeits-Rettungswurf versucht, züngelnde Flammen überwinden.
Ebenso kann der Zauber “Feuerball” (Feuerschaden, Geschicklichkeits-Rettungswurf) zu einer Welle heftiger Emotionen (psychischer Schaden, Weisheits-Rettungswurf) bei stellaren Quellen werden und auch bei anderen Quellen entsprechend angepasst genutzt werden und wurde damit zum generalisierten Zauber “Explosion”.
Zuletzt abstrahierten wir, was Trefferpunkte ausmacht. Auf den ersten Blick geht es um körperliche Verletzungen, was Heilung automatisch und praktisch ausschließlich in der Quelle Humus verortet. Aber wenn man es etwas weiter denkt, sind Trefferpunkte (Lebenspunkte etc.) in praktisch jedem System primär ein abstraktes Mittel um anzuzeigen, wie viel Kampfgeist und Überlebenswillen noch in einem Charakter steckt. Anders wäre auch die oft recht schnelle Regeneration von Trefferpunkten in vielen Rollenspielsystemen, oft im Rahmen einer kurzen Pause, gar nicht argumentierbar.
Also wurden Heilzauber, die Trefferpunkte wiederherstellen, auch mit stellaren Quellen wirkbar. Aggression stärkt den Kampfgeist, Begierde lenkt den Verstand auf ein Ziel, Erfolg führt zu gesteigerter Moral, Harmonie zu innerer Ruhe und Vertrauen in die Gemeinschaft und so weiter.
Mit diesen Ansätzen wurden über 311 Zauber überarbeitet und neu zugeordnet, was einerseits das Problem der zu knappen Zauber pro Quelle löste, andererseits einige interessante neue Möglichkeiten lieferte, wenn bekannte Zauber mit anderen Quellen in ihrem Effekt modifiziert wurden. Eine gewaltige Bestie verfolgt die Gruppe? Ein „Kreatur festhalten“-Zauber mit Eis, Erz oder Humus (Stärke-Rettungswurf) mag vielleicht nicht viel ausmachen, aber vielleicht hilft derselbe Zauber mit einer stellaren Quelle (Weisheits-Rettungswurf) und setzt die Kreatur fest, indem er ihr den Kampfgeist oder die Konzentration nimmt? Bei anderen Kreaturen mag es genau umgekehrt sein.
Ganz nebenher hatten wir eine Umsetzung geschaffen, die näher am alten Myranor war als zuvor. Zaubern funktionierten jetzt wie Instruktionen, die mit Quellen kombiniert wurden.
Blieb die Spontanzauberei der Optimatiker. Sie war zu interessant, um das Konzept zu verwerfen, aber gerade auf unteren Stufen zu wenig praktikabel. Also verschoben wir sie auf eine höhere Stufe (5), wo dann auch gleich die Modifikationen hinzu kommen, die das spontane Wirken selbst bei bekannten Zaubern interessant machen.
Auf den unteren Stufen kam uns das neue Zaubersystem entgegen und so erhielten die Optimatiker hier besondere Freiheiten. Während Animisten und andere Zauberwirker einen Zauber fix kombiniert mit einer Quelle erlernen, lernen Optimatiker sie auf zwei Arten: Zum Teil als Formeln (wie bei anderen Zauber+Quelle) und zum Teil als reine Instruktion, die sie je nach Bedarf mit einer beliebigen Quelle, die sie beherrschen, kombinieren können.
So kann ein Optimatiker einen Teil seiner Zauber einfach je nach Situation anpassen und hat später mit der aus dem Preview bekannten Spontanzauberei noch weitere Möglichkeiten.
Und auch das ist eine Abbildung nahe am alten System, die trotzdem flott anzuwenden ist.
In internen Proberunden haben sich sowohl die Animisten als auch die neuen Optimatiker inzwischen schon gut bewährt 🙂
Ich hoffe, ihr seid mit dem neuen System genauso zufrieden wie ich. Schon bald könnt ihr es selbst ausprobieren!