Im Werkstattbericht April 2025 widmen wir uns der neuen Klasse „Schicksalsgeprüfter“ und unserer Umsetzung der myranischen Geweihten.
Schicksalsgeprüfter
Eine Schmiedin verfolgt nur mit ihrem Hammer bewaffnet, die Räuber, die ihr Dorf geplündert haben. Ein alternder Gelehrter entschließt sich, die Orte, die er nur aus seinen Büchern kennt, doch noch mit eigenen Augen zu sehen. Eine junge, selbstbewusste Balladensängerin folgt einem grimmigen Krieger, um einen Epos über seine Taten zu verfassen. Ein gemütlicher Satyr-Bauer wird von einer radikalen Optimatin des Hauses Ennandu dazu überredet, ihr auf eine Reise zum fernen Berg Baan-Bashur zu folgen.
So beginnen große Geschichten und verändern sich die Leben einfacher Leute.
Als wir Myranor mit dem neuen 5e-Regelsystem ankündigten, erreichten uns Anfragen zu Charakterkonzepten wie Händlern, Handwerkerinnen oder Gelehrten, die von 5e nicht wirklich abgebildet wurden. Wir haben die Herausforderung angenommen. Die Arbeiten an einer neuen Klasse, die das Bespielen dieser Konzepte erlauben sollte, begann mit Recherche. Was faszinierte Fans dieser Charaktere an ihnen? Was musste eine Umsetzung erfüllen?
Wie schwierig diese Frage zu beantworten ist, zeigt sich im mehrfachen Wechsel des Klassennamens. Im Crowdfunding war meist von der Experte-Klasse die Rede, eine Umfrage brachte viele interessante Namens-Ideen, die aber vor allem eines zeigte: Wir stellten die falsche Frage.
Weitere Umfragen in Foren und Gespräche mit Spielenden zeigten, dass es den meisten nicht primär darum ging, eine ganze Kampagne lang Handwerker oder Händlerinnen zu spielen. Es ging darum, Charaktere zu spielen, die nicht von Anfang an abenteuererprobt und heroisch waren, sondern individuell mit ihrer Geschichte wuchsen.
Daraus entstand das neue Konzept der Klasse „Schicksalsgeprüfter“ mit folgenden definierenden Eigenschaften:
- Die Heldenreise. Der Charakter soll sich aus geregelten, einfachen Umständen zum Heldentum entwickeln.
- Individualität. Der Charakter kann aus verschiedenen Ursprüngen stammen und sich abhängig von den erlebten Abenteuern unterschiedlich entwickeln.
- Nicht-Kämpfende. Ein Fokus auf Merkmale, die außerhalb des Kampfes von Nutzen sind.
- Begrenzte Entwicklung. Diese Charaktere können nur bis zu einem gewissen Machtlevel diesen Weg gehen, da danach die Art der Geschichten eine andere werden.
Die entstandene Klasse verzichtet großteils auf fixe Merkmale beim Start und Stufenaufstieg ebenso wie auf fixe Subklassen. Stattdessen gibt es eine Liste von Mini-Talenten, die Fähigkeiten verschiedenster Art darstellen, darunter Übungen mit Fertigkeiten, das Brauen von Hausmittelchen, alte Bekannte in jedem Ort oder das Steuern von Kutschen (was den Umgang mit der Peitsche und mit Tieren beinhaltet). Dazu gibt es Fähigkeiten, welche die besondere Position des Charakters in der Geschichte darstellen, wie unwahrscheinliches Glück, die Fähigkeit durch den eigenen Mut andere zu motivieren oder Gegner zu irritieren. Die Klasse bietet Stufenanstiege bis zur 8. Stufe, was tatsächlich für viele komplette Kampagnen reicht (selbst viele 5e-Kaufkampagnen bewegen sich in diesem Rahmen). Spätestens nach diesem Zeitpunkt gehen wir davon aus, dass der Charakter genug Abenteuer-Erfahrung gesammelt hat, um diesen Teil seiner Geschichte abzuschließen und einen neuen zu beginnen, was sich bei 5e leicht durch Klassenkombinationen darstellen lässt. So könnte der Charakter eine Weihe anstreben oder durch Training einige Stufen als Kämpfer oder Schurke ergänzen, je nachdem wohin er sich entwickelt hat. Genauso, wie manche Hobbits schließlich zu Rittern eines mächtigen Königreichs wurden.
Ich hoffe, diese Lösung findet euer Gefallen und ihr habt mit der Klasse „Schicksalsgeprüfter“ viel Spaß! 🙂
Geweihte
Geweihte sind bei Myranor (und in den meisten anderen Fantasy-Settings) Personen, die sich einer Gottheit verschreiben und dafür übernatürliche Fähigkeiten erhalten.
Bei 5e sind Geweihte üblicherweise über die Kleriker-Klasse (und gewissen Varianten von Paladinen und Hexenmeistern) abgebildet, die Zauber nach ähnlichen Regelprinzipien wie Magier, Druiden oder Zauberer wirken. Das Wort „Zauber“ bezeichnet hier allgemein einen übernatürlichen Effekt, der mit Zauberplätzen als regeltechnischer Ressource gewirkt wird.
Im Hintergrund von Myranor und den früheren DSA-Regeln sind Zauberei und Geweihten-Wirken etwas Getrenntes. Zauberei ist die Nutzung der frei fließenden Energien des Elements Kraft oder Magie in Form von Zaubern. Geweihte nutzen von den Göttern verliehene Karma-Energie und ihre Effekte werden Mirakeln, Liturgien oder Anrufungen genannt (während echte „Wunder“ den Göttern selbst vorbehalten sind). Diese Trennung manifestiert sich in dem Umstand, dass karmales Wirken durch Hellsichtszauberei nicht erkennbar und durch Antimagie nicht beeinflussbar ist. In einigen Fällen sind auch gleichartige Effekte mehrfach als Zauber und als Liturgie vorhanden. Verschiedene Gottheiten sind außerdem bestimmten dämonischen Domänen/Quellen gegenübergestellt und gegne diese besonders wirksam.
Wir haben lange und ausführlich überlegt und debattiert, ob, und falls ja, wie, wie wir diese Eigenheiten übernehmen sollten. Auf der einen Seite stellt es für viele erfahrene Myranor- und DSA-Spielende ein wichtiges Merkmal dar und schuf Vertrautheit und Wiedererkennung. Auf der anderen Seite fügte es eine zusätzliche Komplexität hinzu, die viele 5e-Spielende für überflüssig empfanden und auch zu möglichen Konflikten mit etablierten Regeln führen konnte und damit einen Rattenschwanz an Sonderregelungen erforderten, wenn man wirklich alles abdecken wollte.
Wir entschlossenen uns schlussendlich zu folgender Lösung:
- Wir bleiben im Sinne der Einfachheit und Kompatibilität beim 5e-Ansatz, dass „Zauber“ nur ein Regelbegriff, für verschiedene übernatürliche Effekte ist. Da Zauber mit „Zauberplätzen“ gewirkt werden, können auch diese als abstrakte regeltechnische Ressource behandelt werden, die sowohl magische als auch karmale Energien darstellen kann. Dadurch vermeiden wir auch Platzverschwendung durch Doppelung vergleichbarer Effekt-Beschreibungen.
- Wir führen ein neues Merkmal „Weihe <Göttliche Domäne>“ ein ,die man durch passende Klassen oder Subklassen erhält und die dazu führen, dass Zauber eines Charakters mit diesem Merkmal und von diesem verzauberte Waffen gegen entsprechende Dämonen verletzend sind. Auf das Merkmal kann auch bei anderen Regeln referenziert werden.
- Weihen sollten nicht einzelne Gottheiten abbilden, sondern göttliche Domänen, so dass sie auch unterschiedliche, aber ähnliche Gottheiten und sogar neue, noch ungenannte Gottheiten abgebildet werden können. Für jede Domäne gibt es aber zumindest eine bekannte myranische Gottheit. Beispiele sind Recht (Brajan, Aurischa), Leben (Zatura, Paraina) oder Blut (Khorr, Brassach, Der Stärkste).
- Die Regelung der Nicht-Beeinflussung karmalen Wirkens durch Hellsichtsmagie und Antimagie wurde in die Optionalregeln aufgenommen. So kann jede Gruppe selbst entscheiden, ob sie diese Eigenheit verwenden will.
Myranor kennt eine große und nicht abschließend beschriebene Anzahl verschiedener Gottheiten und Kulte, die auch sehr unterschiedlich sind. Ein Jäger-Priester des Pheronos (Winter, Jagd) ist etwas anderes als eine Legionspredigerin des Shinxir (Disziplin, Schwarm, Krieg), ein städtischer Geweihter der Siminia (Handel, Erfindungsreichtum, Handwerk) oder einer amaunischen Tänzer-Priesterin der RaDja (Leidenschaft, Schönheit, Kunst). Dem wollten wir Rechnung tragen.
Daher sind nicht alle Geweihte über eine einzelne Kleriker-Klasse abgebildet, die selbst mit verschiedenen Subklassen diese Vielfalt nicht abdecken könnte.
Kleriker (eine Vollzauberer-Klasse) wurden diejenigen Geweihte, für die eine große Anzahl am passenden Zaubern, auch von hohem Machtgrad, vorhanden war. Für jede dieser Domänen wurde eine neue Subklasse eingeführt. Im Gegensatz zum 5e2024-Standard werden die Domänen/Gottheiten bereits auf Stufe 1 gewählt und jede davon hat eine eigene spezifische Zauberliste. Die sonstigen besonderen Subklassen-Fähigkeiten werden wie üblich auf Stufe 3 gewählt. Konkret sind das die Domänen Recht, Leben, Tod, Schwarm, Gemeinschaft, Sturm und Vulkanschmiede.
Andere Geweihte wurden als Subklassen verschiedener anderer Klassen abgebildet, da sie vor allem geweihte Spezialisierungen mundaner Konzepte sind. Konkret sind das die Weihe des Bluts für Barbaren, die Weihe der Schatten für Schurken, die Weihe der Jagd für Kundschafter und die Weihe der Leidenschaft für Mönche. Jede dieser Subklassen stellt eine Anzahl von „Mirakel-Punkten“ zur Verfügung, die zum Wirken von passenden Zaubern und für andere Effekte genutzt werden können. Jede dieser Subklassen erhält auch wie Kleriker das passende Weihe-Merkmal.
Die dritte Gruppe von Geweihten stellen schon im alten Myranor eine Besonderheit dar, da ihr Wirken eher subtil ist. So sind die Geweihten von Siminia vor allem in die örtlichen Handwerker- und Handels-Zirkel integriert, die Geweihten der Tscha vor allem Seelsorgende der Shingwa. Geweihte der Raia/RaDja, die mehr den Aspekten der Schönheit und Kunst als der Leidenschaft zuneigen, sind vor allem Kunstschaffende und Tempelgeweihte. Auch ihre Liturgien in „Myranische Götter“ sind eher von geringerer Macht und stark auf ihre Rollen zugeschnitten. Das stellt uns lange vor Probleme. Wie sollten wir diese Charaktere so darstellen, dass sie mit ihrem Hintergrund zusammenpassten? Bis die Erkenntnis kam: Die Problematik dieser Charaktere hatten wir ja schon bei den Schicksalsgeprüften gehabt. Der nächste Schritt war dann logisch: Diese Weihen wurden zusätzliche Optionen für die Klasse Schicksalsgeprüfter.
Und damit schließt sich der Kreis.
Ich hoffe, unsere Gedanken und Lösungen waren für euch interessant, finden eure Zustimmung und schaffen Vorfreude, auf das neue Myranor.
Beste Grüße
Stefan/aikar